Wenn ich heute mit Kolleg:innen über Künstliche Intelligenz in der Schule spreche, spüre ich oft zwei gleichzeitige Emotionen: Neugier und Unsicherheit.
Viele Schulleitungen erkennen, dass KI das System Schule verändern wird, aber kaum jemand fühlt sich wirklich vorbereitet. Die Frage lautet an diesem Punkt noch sehr oft, ob sich Schule verändern muss und inwiefern man einfach so weitermachen kann wie zuvor. Ich bin allerdings der Überzeugung, dass die Frage vielmehr danach gestellt werden sollte, wie wir diesen Wandel führen und gestalten können.
Schulführung in Zeiten von KI heißt oft, dass wir bekannte Muster verlassen müssen und viele Aspekte des schulischen Wirkens neu angehen müssen. Es reicht nicht mehr, Tools einzuführen oder Prozesse zu digitalisieren. Wir müssen lernen, digitale Transformation als Haltungsfrage zu begreifen, als Führungsaufgabe, die Denken, Strukturen und Kultur gleichermaßen betrifft.
Schulen sind komplexe Organisationen, die auf Kontinuität angewiesen sind. Stundenpläne, Prüfungen, Gremien, all das sichert Stabilität. Gleichzeitig fordert die technologische Entwicklung, dass wir uns schneller verändern, als es die tradierten Rhythmen des Systems zulassen. Die rasante Weiterentwicklung im Feld der künstlichen Intelligenz trifft deshalb auf den Mikrokosmos Schule, der in seiner Entwicklung und seinen Prozessen systemimmanent oft eher behäbig erscheint. Das führt zwangsläufig zu Spannungen und Unsicherheiten.
Gute Führung in diesem Spannungsfeld bedeutet nun aber dennoch nicht, den Wandel unüberlegt und in blindem Aktionismus zu beschleunigen, sondern ihn verstehbar und gestaltbar zu machen. AI-Leadership ist für mich daher keine Führungsstrategie zur Effektivitätssteigerung, sondern eine Haltung. Sie verbindet pädagogische Verantwortung mit technischem Verständnis und systemischem Denken.
An meiner Schule erlebe ich diesen Prozess täglich. Wir haben vor Jahren begonnen, unsere Schulentwicklung digital zu rahmen, zunächst mit iPads und einer cloudbasierten Arbeitsstruktur. Der Gedanke war immer der, dass es in erster Linie um die Prozesse und nicht um konkrete Tools geht. Doch mit der Einführung von KI-Tools musste sich diese Perspektive tatsächlich grundlegend verändern. Endgültig weg vom Gedanken eines Tool-Managements, hin zu Führung als Ermöglichung von Lernprozessen, auch für die am System beteiligten Erwachsenen.
In meiner Arbeit habe ich versucht, diese Veränderung zu strukturieren. Entstanden ist das KI-Kompetenzmodell für Schulleitungen, das ich adaptiv anhand des Kompetenzmodells für Lehrende und Lernende von Falck, Flick, Schulz und Alles entwickelt habe. Es beschreibt vier zentrale Kompetenzbereiche, die mein Verständnis von Führung im KI-Zeitalter definieren:
Verstehen: Grundkenntnisse über Funktionsweise, Chancen und Risiken von KI.
Schulleitungen müssen keine Ki-Expert:innen sein, aber sie brauchen ein Orientierungswissen, das sie befähigt, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Anwenden: KI in administrative und pädagogische Prozesse integrieren.
Dazu gehört die Nutzung von KI-Tools für Organisation, Kommunikation und Dokumentation ebenso wie der reflektierte Einsatz im Unterricht. Dies ist auch im Hinblick auf den Gedanken des Leadership by example wichtig, da Schulleitungen auch gegenüber dem Kollegium eine Vorbildfunktion einnehmen sollten.
Reflektieren: Ethische, rechtliche und pädagogische Fragen mitdenken.
Wie verändern sich Rollen, Verantwortung und Vertrauen in einer KI-gestützten Schule?
Mitgestalten: Rahmenbedingungen und Strukturen schaffen, in denen KI lernförderlich eingesetzt werden kann. Das bedeutet, Teams befähigen, Fortbildung ermöglichen, Partizipation sichern und eine Kultur des Erprobens fördern. Psychologische Sicherheit in einem unsicheren Rahmen herzustellen ist Aufgabe des Führungsteams.
Diese vier Dimensionen sind kein starres Raster, sondern ein Orientierungsrahmen. Sie helfen, Führungshandeln zu professionalisieren, ohne den pädagogischen Kern aus dem Blick zu verlieren.
In vielen Schulen wird Digitalisierung noch immer als Projekt verstanden: Man führt Tools ein, schult Kolleg:innen und hofft auf Akzeptanz. Häufig werden einfach analoge Prozesse in eine digitale Form gebracht. Das beste Beispiel hierfür ist das Arbeitsblatt, welches dem gleichen Gedanken und Prozess weiterhin folgt, ob es dabei als Blatt Papier oder als PDF-Dokument vorliegt ist dabei irrelevant. Doch KI verändert diesen Prozess, da sich eingespielte Prozesse nicht mehr einfach übertragen lassen. Während Digitalisierung oft auf Infrastruktur und der Übertragung von analogen in digitale Prozesse zielt, zielt die Veränderung durch KI auf die Dimension der Schulkultur.
Dazu ein Beispiel aus meinem Alltag: Früher diskutierten wir in Teamsitzungen über den effizientesten Weg, Dateien zu teilen. Heute diskutieren wir über die Qualität von KI-generierten Materialien, über Datenschutz, Urheberrecht und pädagogische Verantwortung. Diese Gespräche sind anspruchsvoller, aber auch lohnender, weil sie auf einer anderen Ebene stattfinden, nämlich der der Werte, des Urteils und der Haltung.
AI-Leadership heißt deshalb, den Diskurs zu verschieben, von der Tool-Frage zur Kulturfrage.
Es geht nicht mehr darum, ob KI genutzt wird, sondern wie wir sie in eine gemeinsame Vorstellung von Lernen, Führen und Schule integrieren.
Einer der größten Irrtümer besteht darin, zu glauben, man könne Wandel verordnen.
Gerade bei KI zeigt sich: Veränderung gelingt nur, wenn Menschen Vertrauen fassen, in sich selbst, in die Technik und in die gemeinsame Richtung.
In unserer Schule haben wir das Prinzip „Jeder kann - keiner muss“, das bei allen großen Entwicklungsschritten seit vielen Jahren zum Tragen kommt. Es hat den Druck genommen und gleichzeitig die Experimentierfreude erhöht. Lehrkräfte konnten erste Schritte mit KI im eigenen Tempo gehen, Erfahrungen teilen, voneinander lernen. Führung bestand in dieser Phase nicht darin, Vorgaben zu machen, sondern Räume zu eröffnen.
So entstehen nach und nach kleine Erfolgsgeschichten: Kolleg:innen, die mithilfe von KI ihre Unterrichtsmaterialien effizienter gestalteten, die Schulleitung, die mit Textassistenz-Elternbriefe oder Schulprogramme überarbeitet und den Einsatz von KI vorlebt und Fachgruppen, die an der Implementation von Prozessen mit KI arbeiten. Diese vielen kleinen Impulse haben mehr bewirkt als jede strategische Agenda, die top-down verordnet wird.
AI-Leadership bedeutet, sich selbst als Lernende:r zu verstehen und auszuhalten, dass man als Führungskraft nicht immer die Antwort, den besten Weg oder der Weisheit letzten Schluss zur Verfügung hat. Ich habe im letzten Jahr viel dazugelernt und vieles auch neu zu bewerten verstanden, nicht über Technik, sondern über Menschen, Kommunikation und Veränderung.
KI zwingt uns, neu über Wissen, Vertrauen und Verantwortung nachzudenken.
Sie fordert, dass Schulleitungen nicht nur Entscheidungen treffen, sondern Lernräume schaffen, für Kollegien, für Schüler:innen, und für sich selbst.
Gute Führung erkennt, dass Wandel nicht gegen, sondern nur mit den Menschen gelingt.
Sie begleitet, moderiert, inspiriert und hält die Unsicherheit aus, die Innovation immer mit sich bringt.
AI-Leadership in der Schule bedeutet daher nicht, die neuesten Tools zu kennen oder den perfekten KI-Fahrplan zu haben. Es bedeutet, eine Haltung zum Wandel zu entwickeln.
Eine Haltung, die Vertrauen stärkt, Verantwortung teilt und Lernen als gemeinsamen Prozess versteht.
Wenn wir Führung in diesem Sinne neu denken, dann wird KI nicht zur Bedrohung für pädagogische Werte, sondern zu einem Spiegel für sie. Sie erinnert uns daran, dass Zukunft nicht „gemacht“, sondern gestaltet wird, Schritt für Schritt, Entscheidung für Entscheidung.