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Bildung

Multiprofessionelle Teams an Schulen

Sina Schriewer
#Bildung#Multiprofessionelle Teams#Inklusion#Schulentwicklung
Ein multiprofessionelles Team in einer Schule

Multiprofessionelle Teams an Schulen

Definition und Bedeutung

Multiprofessionelle Teams in Schulen bezeichnen die systematische Zusammenarbeit von Lehrkräften mit weiteren pädagogischen und sozialpädagogischen Fachkräften innerhalb der Schule. Dazu können neben Lehrerinnen und Lehrern beispielsweise Sonderpädagoginnen, Schulsozialarbeiterinnen, Erzieherinnen (etwa im Ganztag), schulische Assistenzkräfte oder Therapeutinnen gehören. Durch die Einbindung unterschiedlicher Professionen sollen die vielfältigen Bildungs- und Unterstützungsbedarfe der Schülerschaft besser abgedeckt werden. Insbesondere für inklusiv arbeitende Schulen gelten multiprofessionelle Teams als notwendiger Bestandteil für das Gelingen von Inklusion (Neumann et al. 2021).

Auch die Kultusministerkonferenz empfahl bereits 2015 den Einsatz multiprofessioneller Teams, um der Heterogenität der Lernenden gerecht zu werden. In den letzten Jahren hat sich die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen zunehmend etabliert und wird bildungspolitisch gefördert (KMK 2020). So arbeiten in Hamburg mittlerweile nahezu alle Schulen in multiprofessionellen Teams, die durch das Landesinstitut gezielt fortgebildet werden (KMK 2015).

Gründe für den Einsatz

Die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft sowie der Ausbau von Ganztag und inklusiver Bildung haben den Bedarf an multiprofessioneller Kooperation stark erhöht. Durch Inklusion – verstärkt seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention – werden Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gemeinsam unterrichtet, was neue Anforderungen an die Unterstützungssysteme stellt (Neumann et al. 2021, S. 165). Gleichzeitig erfordert der Ganztagsausbau zusätzliche Angebote über den Unterricht hinaus, etwa Freizeit- und Förderangebote, die oft von pädagogischem Personal außerhalb des Lehramts gestaltet werden. Multiprofessionelle Teams ermöglichen es, diese Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen, indem verschiedene Fachperspektiven eingebracht werden. Eine diverse Teamzusammensetzung wird dabei als Gewinn betrachtet: Unterschiedliche Professionen können gemeinsam passgenaue Förderangebote entwickeln und so zur Schulqualität beitragen (Universität Bielefeld 2021, S. 1–2). Entsprechend hat sich in Bundesländern wie Niedersachsen die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams seit Einführung der inklusiven Schule „zunehmend zur schulischen Normalität“ entwickelt (KMK 2020, S. 60)

Zusammensetzung und Rollenverteilung

Die konkrete Zusammensetzung multiprofessioneller Schul-Teams richtet sich nach den Bedürfnissen der jeweiligen Schule. Typischerweise besteht ein Kernteam aus Lehrkräften (Allgemein- und ggf. Berufs- oder Förderpädagoginnen) und mindestens einer weiteren Profession, z.B. einer Schulsozialarbeiterin oder Sonderpädagogin. Hinzu kommen je nach Schulform und Angebot Erzieherinnen für den Ganztag, Integrationshelferinnen bzw. Schulbegleitungen für einzelne Kinder mit Unterstützungsbedarf, (Schul-)Psychologinnen oder andere therapeutische Fachkräfte. Die Rollenverteilung in solchen Teams kann variieren: Oft bleibt die Klassen- oder Fachlehrkraft primär für Unterricht und Leistungserhebung verantwortlich, während zusätzliche Fachkräfte unterstützende Funktionen übernehmen – etwa sozialpädagogische Fachkräfte in der Betreuung und Beratung oder Sonderpädagoginnen in Diagnose, Förderung und Co-Teaching. Erste empirische Befunde deuten jedoch darauf hin, dass traditionelle Rollenmuster zum Teil fortbestehen (Neumann et al. 2021). So unterscheiden sich die Aufgabenprofile von Sonderpädagoginnen teils deutlich – von intensivem Team-Teaching bis hin zur eher separaten Förderung – und Schulsozialarbeiter*innen konzentrieren sich häufig vor allem auf die Kooperation mit Eltern und die Sozialarbeit im schulischen Umfeld (Neumann et al. 2021). Diese Aufgabenteilung zeigt, dass trotz multiprofessioneller Teams eine klare Absprache nötig ist, damit alle Professionen ihr Potenzial einbringen können und keine wichtigen Aufgabenbereiche unberücksichtigt bleiben.

Potenziale und Chancen

Multiprofessionelle Teams bieten große Chancen für die Schulentwicklung und die individuelle Förderung der Schüler. Durch die Bündelung verschiedener Expertisen können Probleme ganzheitlicher angegangen werden. Beispielsweise lassen sich pädagogische Herausforderungen – wie Leistungsveränderungen, Verhaltensauffälligkeiten oder sozial-emotionale Unterstützungsbedarfe – im Team aus verschiedenen Blickwinkeln analysieren, um passgenaue Lösungen zu finden. Entsprechend werden multiprofessionelle Teams in der Forschung als Ressource für inklusive Schulen angesehen (Universität Bielefeld 2021). Sie gelten als wichtiger Baustein einer inklusiven Schulkultur, in der gemeinsame Fallbesprechungen und gegenseitiges Lernen der Professionen zum Schulalltag gehören (Universität Bielefeld 2021). Internationale Studien beschreiben Schulen, die Heterogenität erfolgreich bewältigen, denn auch als „Problem Solving Organizations“ mit einer ausgeprägten multiprofessionellen Kooperationskultur (Hoppey & McLeskey 2014, zitiert in Neumann et al. 2021). Das heißt, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen trägt messbar zu schulischem Erfolg und zur besseren Förderung aller Kinder bei.

Auch Praktiker bestätigen die positiven Effekte: Schulleitungen bewerten den Einsatz multiprofessioneller Teams überwiegend als sehr hilfreich. In einer bundesweiten Befragung wünschten sich 86 % der Schulleiter*innen, die (noch) kein multiprofessionelles Team an ihrer Schule haben, ein solches Team zur Unterstützung ihres Kollegiums (VBE 2020). An Schulen, die bereits in Teams mit weiteren Professionen arbeiten, berichten über 90 % der Schulleitungen, dass diese Teams die Lehrkräfte deutlich oder zumindest etwas entlasten (VBE 2022). Diese Entlastung zeigt sich z.B. darin, dass Lehrkräfte sich besser auf ihren Unterricht konzentrieren können, während andere Fachkräfte sich ergänzend um sozialpädagogische Belange, individuelle Förderpläne oder Elternberatung kümmern (vgl. Wild 2022, S. 44). Somit leisten multiprofessionelle Teams einen Beitrag dazu, die Bildungsqualität zu steigern und Belastungen durch Arbeitsverdichtung vorzubeugen, indem Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt werden.

Herausforderungen bei der Zusammenarbeit

Trotz ihrer Vorteile stehen multiprofessionelle Teams vor Herausforderungen in der praktischen Umsetzung. Eine häufig genannte Schwierigkeit ist der Mangel an festen Zeitfenstern für die Teamkommunikation im Schulalltag. Studien zeigen, dass in vielen Schulen kaum regelmäßige Zeiten für Absprachen und gemeinsame Planung vorgesehen sind (Wild 2022, S. 44). Die unterschiedlichen Arbeitszeiten und -bedingungen der Teammitglieder erschweren die Koordination: Insbesondere Fachkräfte, die außerhalb des klassischen Lehrerkollegiums angestellt sind (z.B. Sozialarbeiter*innen oder Teilzeitkräfte im Ganztag), haben oft befristete Verträge oder sind nur stundenweise in der Schule tätig. Dies führt zu prekären Beschäftigungsbedingungen und mitunter zu einer ungleichen Status- und Machtverteilung im Team (Wild 2022). Lehrkräfte nehmen in der schulischen Hierarchie meist eine dominierende Rolle ein, während externe Fachkräfte weniger in Entscheidungsprozesse einbezogen werden – eine asymmetrische Kooperationsstruktur, die echte Teamarbeit erschweren kann (Wild 2022).

Ein weiteres Problem kann die unklare Rollenabgrenzung sein. Wenn nicht eindeutig geklärt ist, wer für welche Aufgaben zuständig ist, besteht die Gefahr von Missverständnissen oder Doppelarbeit. Die Universität Bielefeld (2021, S. 2) warnt in einer Stellungnahme ausdrücklich davor, dass eine Aufweichung von Rollen und eine einseitige Verlagerung von Aufgaben innerhalb des Teams zu Spannungen führen können. Beispielsweise könnte ohne klare Absprachen die Verantwortung für die Förderung von Schülerinnen mit besonderem Förderbedarf ungewollt komplett an Sonderpädagog innen delegiert werden, anstatt sie gemeinschaftlich zu tragen – was der Idee der inklusiven Kooperation widerspricht. Zudem benötigen neu ins Team kommende Professionen oft eine angemessene Einarbeitung und Anleitung. Sozialpädagogische Fachkräfte oder therapeutisches Personal verfügen über wertvolle Spezialkenntnisse, sind aber in der Regel nicht für schulischen Unterricht ausgebildet. Ohne eine strukturierte Einführung in schulische Abläufe und pädagogische Konzepte besteht die Gefahr, dass ihr Potenzial nicht voll ausgeschöpft wird oder sie überwiegend isoliert arbeiten. Laut Universität Bielefeld (2021) ist es zwingend erforderlich, dass zusätzliches, nicht für den Unterricht qualifiziertes Personal von Lehrkräften angeleitet und kontinuierlich begleitet wird – in der Praxis fehlen dafür jedoch oft geeignete Konzepte und Ressourcen. Wenn diese Begleitung ausbleibt, können Missverständnisse auftreten und die Qualität der Unterstützung sinken. Nicht zuletzt ist die Schulleitung gefordert, die Zusammenarbeit im Kollegium aktiv zu fördern. Ohne Rückhalt und Koordination durch die Schulleitung laufen multiprofessionelle Initiativen Gefahr, im Alltag unterzugehen oder an strukturellen Hürden zu scheitern (Universität Bielefeld 2021)

Gelingensbedingungen und Ausblick

Damit multiprofessionelle Teams ihr volles Potenzial entfalten können, müssen bestimmte Gelingensbedingungen erfüllt sein. Zentrale Voraussetzung ist eine klare gemeinsame Zielsetzung: Alle Beteiligten sollten ein gemeinsames Verständnis davon haben, worauf ihre Zusammenarbeit abzielt (etwa die bestmögliche Förderung jedes einzelnen Kindes). Darauf aufbauend braucht es eine klare Aufgabenverteilung und regelmäßige Kommunikation. Studien und Praxisberichte empfehlen feste Kooperationszeiten im Stundenplan, in denen sich das Team austauschen und planen kann (Wild 2022). Solche strukturell verankerten Absprachen schaffen Verbindlichkeit und verhindern, dass die Zusammenarbeit nur „nebenbei“ läuft.

Ebenfalls entscheidend ist eine gleichberechtigte Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Jede Profession bringt spezifisches Fachwissen ein – von didaktischen und fachlichen Kompetenzen der Lehrkräfte bis zu sozialpädagogischen und psychologischen Kenntnissen anderer Fachkräfte. Diese Expertisen sollten kokonstruktiv verknüpft werden, d.h. alle Teammitglieder lernen voneinander und entwickeln gemeinsam pädagogische Ansätze (Universität Bielefeld 2021, S. 2). Wertschätzung und gegenseitiges Verständnis für die jeweils anderen Berufsrollen fördern dieses Miteinander. Hierbei kann gemeinsame Fortbildung helfen: In einigen Projekten (z.B. BiFoKi – Bielefelder Fortbildungskonzept für inklusive Kooperation) werden Lehrkräfte und Fachkräfte zusammen geschult, um Kooperation und Kommunikation im Team zu verbessern (Wild et al. 2020).

Auch die Schulleitung spielt eine Schlüsselrolle. Sie muss organisatorische Rahmenbedingungen schaffen, etwa indem sie für ausreichend personelle und zeitliche Ressourcen sorgt und neue Teammitglieder systematisch einbindet. Experten betonen, dass Schulleitungen Teamarbeit aktiv vorleben und fördern sollten (z.B. durch regelmäßige Teamtreffen, klare Kommunikationsstrukturen und Anerkennung der Teamleistungen). Dies erfordert mitunter einen kulturellen Wandel an Schulen hin zu mehr Kollaboration. In der Praxis zeigen jedoch Beispiele aus mehreren Bundesländern, dass dieser Wandel machbar ist: So hat etwa Brandenburg den Ausbau multiprofessioneller Teams in seinem Bildungskonzept verankert (Koalitionsvertrag 2019), und in Hamburg werden schulübergreifende Netzwerke geschaffen, in denen sich verschiedene Professionen austauschen.

Insgesamt wird deutlich, dass multiprofessionelle Teams ein wesentliches Element moderner Schulsysteme sind, um der Vielfalt der Schülerschaft gerecht zu werden. Ihre Etablierung bringt große Chancen für individuelle Förderung und Unterrichtsentlastung, erfordert jedoch auch gezielte Unterstützungsmaßnahmen und ein Umdenken aller Beteiligten hin zu kooperativen Arbeitsformen. Die aktuellen wissenschaftlichen Studien und Praxisberichte unterstreichen, dass bei Bereitstellung geeigneter Rahmenbedingungen – Zeit, Ressourcen, klare Rollen und Weiterbildung – multiprofessionelle Kooperation einen erheblichen Beitrag zu einer inklusiven und qualitativ hochwertigen Schule leisten kann (Wild 2022; Neumann et al. 2021). Der Ausblick für Schulen geht daher in Richtung einer weiteren Professionalisierung der Teamarbeit: Multiprofessionelle Teams werden zunehmend zum Standard werden, um allen Kindern bestmögliche Bildungschancen zu ermöglichen. Dabei bleibt die kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung wichtig, um Erfolgsfaktoren zu identifizieren und Herausforderungen frühzeitig zu begegnen.

Literaturverzeichnis

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