Wie Lernende den verantwortungsvollen Umgang mit KI trainieren können und Lehrkräfte sie dabei begleiten
Als ich meinen Prompting-Guide für Schüler:innen entwickelte, der inzwischen bei IQES erschienen ist, stellte ich mir eine einfache, aber zentrale Frage:
Wie können Lernende generative KI nutzen, ohne sich vom Entstehungsprozess der Ergebnisse, die sie mit Hilfe von KI generieren gedanklich völlig zu entfernen.
In vielen Klassen sehe ich, dass KI längst selbstverständlich eingesetzt wird, oft aber ohne tiefes Verständnis dafür, was dort eigentlich geschieht und wie die Ergebnisse zustande kommen. Die Schüler:innen schreiben zwar Prompts, variieren sie, kopieren Ergebnisse, aber selten reflektieren sie den Prozess. Ebenso ist die Qualität der Prompts selten ausreichen und entspricht häufig nicht den Kriterien für einen guten Prompt. Die Schüler:innen stellen der KI wenig bis keinen Kontext zur Verfügung, formulieren die Prompts nicht spezifisch und grenzen die Zielgruppe kaum ein. Das Ergebnis ist häufig eine KI-Antwort, die weit hinter den tatsächlichen Möglichkeiten zurückbleibt. Sie sehen in der KI ein Werkzeug, aber keinen „Partner” in Arbeitsprozessen. Dabei steckt genau hier das größte Potenzial: KI-Kompetenz beginnt nicht erst beim Prompt, sondern beim Nachdenken darüber, wie KI-Tools Lernprozesse unterstützen können und wie die Sprache diesen Zugang durch gezielte und effektive Prompts schaffen kann.
Anfangs habe ich noch geglaubt, dass das Schreiben guter Prompts vor allem eine technische Fähigkeit sei, ähnlich wie das Beherrschen einer Programmiersprache. Im Grundsatz stimmt das zwar weiterhin, denn Prompting hat natürlich viel mit der Fähigkeit zu tun sich sprachlich präzise ausdrückend an die KI zu wenden. Jedoch ist Prompting kein rein sprachliches Handwerk, bei dem einfach passende Buzz-Words aneinandergereiht werden, sondern vielmehr eine Form der metakognitiven Steuerung. Denn wer effektiv prompten will, der muss über sein eigenes Denken nachdenken, indem er den Schaffensprozess mit KI vom Ende her denkend gezielt steuert.
In diesem Sinne ist KI-Kompetenz keine isolierte Digitalfertigkeit, sondern eine Verbindung aus Sprachbewusstsein, kritischem Denken und Prozessplanung. Schüler:innen müssen verstehen, dass jeder Prompt eine Perspektive enthält, eine Setzung, die Ergebnisse beeinflusst. Das gilt umso mehr in Zeiten, in denen KI nicht nur Texte erzeugt, sondern auch Narrative, Bilder und Haltungen reproduziert.
Lehrkräfte übernehmen hier eine zentrale Rolle. Sie begleiten Lernende nicht nur technisch, sondern helfen ihnen, über Sprache, Absicht und Wirkung zu reflektieren. KI-Kompetenz bedeutet also immer auch, über die eigenen Ziele nachzudenken, über die eigenen Motive und Werte im Lernprozess.
In meinem Unterricht hat sich eine Struktur bewährt, die sich eng an das von mir entwickelte Kompetenzmodell für schulische Führungskräfte anlehnt. Sie lässt sich auf Schüler:innen übertragen, wenn es darum geht, KI als Lernressource zu verstehen:
Verstehen: Wie funktioniert KI, und welche Grenzen hat sie? Welche Daten nutzt sie, welche Verzerrungen enthält sie, welche Sprache prägt ihre Antworten?
Anwenden: Wie lassen sich Prompts so formulieren, dass sie differenzierte, präzise oder kreative Ergebnisse liefern?
Reflektieren: Welche Verantwortung trage ich für das, was ich generiere, verwende oder weitergebe? Welche Haltung nehme ich ein?
Diese drei Ebenen bilden den Rahmen für schulisches Lernen mit KI. Sie machen deutlich: KI-Kompetenz entsteht nicht durch Nutzung, sondern durch Bewusstmachung und durch das Nachdenken über die eigene Interaktion mit Technologie.
Ein Beispiel aus der Praxis: In einer neunten Klasse habe ich die Schüler:innen gebeten, eine Kurzbiografie zu einer historischen Person zu schreiben, zunächst ohne, dann mit Unterstützung einer KI. Anschließend verglichen sie beide Texte, überarbeiteten ihren eigenen und reflektierten, inwiefern die KI ihnen half, Gedanken zu strukturieren oder sprachlich zu verdichten.
In dieser Arbeit zeigte sich, dass die KI nicht als Abkürzung diente, sondern als Feedback-Partner. Lernende verstehen, dass die Qualität eines Ergebnisses davon abhängt, wie sie ihre Fragen stellen und welche Verantwortung sie für die Auswahl und Bewertung der Antworten übernehmen. Prompting wurde zum didaktischen Instrument, um Denken sichtbar zu machen, weil das zu Beginn festgelegte Ziel direkt mit dem Ergebnis verglichen werden konnte.
Ähnliche Prozesse lassen sich in anderen Fächern beobachten:
In Deutsch wird KI zum Schreibcoach, der Formulierungen anbietet, die anschließend sprachlich bewertet werden.
In Ethik oder Politik kann sie Perspektiven eröffnen, die dann kritisch geprüft werden.
In Naturwissenschaften hilft sie, Hypothesen zu formulieren oder Versuchsbeschreibungen zu strukturieren, immer begleitet durch Reflexion.
So wird KI vom Fremdkörper zum Bestandteil des Lernprozesses und nimmt die Rolle eines Co-Creators von Lerninhalten und Lernwegen ein. Sie ist nicht mehr einfach nur Erfüllungsgehilfe, um gestellte Aufgaben schnell, ohne Anstrengung und vermeintlich mit hoher Qualität zu erledigen, sondern dient vielmehr als „Partner” im Entstehungsprozess.
Denn im Kern geht es um etwas Grundsätzlicheres. KI kann Lernstrategien sichtbar und verhandelbar machen. Wenn Schüler:innen Prompts planen, testen und überarbeiten, reflektieren sie automatisch über ihre Ziele und Vorgehensweisen, eine zentrale metakognitive Kompetenz.
In meinem aktuellen Wahlpflichtkurs zum Thema KI und Prompting in den Klassenstufen 8 und 9, untersuchen wir die Qualität von KI-Antworten gemeinsam und analysieren, wie diese Zustandekommen. Die Diskussionen ähnelten denen, die man sonst über Textstrukturen oder Argumentationslogik führt. Schüler:innen begannen zu formulieren, was eine gute Antwort ausmacht und warum. Dadurch verschiebt sich der Fokus von der reinen technischen Ebene auf die tatsächliche Betrachtung der Ergebnisse und die Beurteilung der Antwortqualität.
Diese Prozesse knüpfen direkt an Hatties Befunde zu Selbstregulation und Wirksamkeitserleben an. Lernende, die verstehen, wie sie lernen, lernen nachhaltiger. KI kann diesen Prozess unterstützen, wenn sie didaktisch gerahmt wird, nicht als Ersatz für Denken, Skill-Skipping und schnelle Abkürzung zur Erledigung von redundanten und KI-anfälligen Aufgabenstellungen, sondern als Medium, das Denken anstoßen kann.
Der Prompting-Guide, den ich entwickelt habe, enthält am Ende jeder Übung gezielte Reflexionsfragen. Sie sind mehr als ein methodischer Abschluss; sie sind das Herzstück des Lernens mit KI. Fragen wie:
„Was hat dir der Austausch mit der KI über dein eigenes Denken gezeigt?”
„Wie hat sich dein Prompting im Verlauf verändert?”
„Welche Grenzen hat die KI in dieser Aufgabe gezeigt?”
ermöglichen eine Verschiebung von der Produkt- zur Prozessperspektive. Schüler:innen erfahren, dass Lernen mit KI kein lineares Handeln, sondern ein schleifenartiger Prozess ist, geprägt von Planung, Anwendung, Überprüfung und Anpassung. Dieses iterative Vorgehen und die Evaluation eigener Prozesse ist es, was Schüler:innen im Umgang mit KI lernen können und müssen. Wir Lehrkräfte können sie dabei unterstützen, indem wir ihnen den Zugang und den Raum für diese Erfahrungen ermöglichen.
KI-Kompetenzen sind kein Zusatz, den man irgendwo zwischen Medienbildung und Informatikunterricht einfügen kann. Sie gehören mittlerweile in allgemeine Bildung im Unterricht, weil sie Sprache, Denken und Verantwortung miteinander verbinden.
Wenn Schüler:innen lernen, mit KI zu denken, lernen sie zugleich, über ihr eigenes Lernen nachzudenken. Und wenn Lehrkräfte diesen Prozess bewusst begleiten, wird KI nicht zur Bedrohung von Bildung, sondern zu ihrem Katalysator.
Der Weg dorthin beginnt nicht mit Technik, sondern mit Haltung und mit der Bereitschaft, aus Prompts Gespräche über Denken zu machen.